Internationaler Tag des Romanes am 5. November - World Day of Romani Languages
- 5. November 2023
Romanes ist die Sprache der Sinti*zze und Rom*nja. Sie gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und besteht aus einer Vielzahl verschiedener Dialekte und ist somit so divers, wie Rom*nja und Sinti*zze selbst. Am 05. November findet der World Day of Romani Languages statt, der 2015 ins Leben gerufen wurde, um die Anerkennung und den Erhalt der Romani Sprachen in all ihrer Vielfalt zu feiern und zu fördern.
Aber die Sprache, die am 8. April 1971 gemeinsam mit der Hymne djelem djelem, der blau-rot-grünen Flagge und der Eigenbezeichnung Rom*nja am ersten internationalen Rom*nja Kongress in London als integraler Teil der Identität der Rom*nja und Sinti*zze bezeichnet wurde, ist an vielen Orten und in vielen Mündern schon lange verstummt.
Als wir bei Vivaro – Viva Romnja* (der erste feministischen Romnja* Verein in Österreich1) gefragt wurden, ob wir Lust hätten einen Artikel zum heutigen Tag zu schreiben, wurde angemerkt, dass es am wünschenswertesten wäre, wenn dies eine romanes sprachige Person tut. Ich spreche kein Romanes. Und so geht es vielen Rom*nja und Sinti*zze. Ich möchte diesen Beitrag nutzen, um darauf aufmerksam zu machen warum, warum so viele von uns unsere Sprache nicht sprechen.
An diesem Tag, an dem Romani Sprachen gefeiert werden, ist es wichtig sich zu fragen, warum es so einen Tag überhaupt braucht. Warum muss Romanes gefördert werden? Warum gibt es so viele Rom*nja und Sinti*zze, in denen schon lange oder auch erst seit ein paar Generationen die Sprache verstummt ist? Warum muss daran gearbeitet werden, dass Menschen sich nicht schämen müssen diese Sprache zu sprechen und sie ihren Kindern aus Angst vor Hass und Rassismus nicht weitergeben? Aber es soll auch um die schönen Seiten, die Macht und Bedeutung der Romani Sprachen gehen.
Geschichte der Sprache & Geschichte durch Sprache
Die Geschichte und Kultur der Sinti*zze und Rom*nja ist durch orale Überlieferung geprägt. Das bedeutet, dass die Informationen und Geschichten, die an die Nachwelt weitergegeben werden hauptsächlich mündlich, und nicht wie sonst in Europa häufig üblich, schriftlich überliefert wurden. Als nicht Schriftkultur besteht die Übergabe der Geschichten von Generation zu Generation, mündlich. Aufgrund von jahrhundertelanger Diskriminierung und Verfolgung, die im Porajmos - dem Genozid an den Sinti*zze und Rom*nja im 2. Weltkrieg durch die Nazis und ihre Verbündeten - ihren Höhepunkt fand, ist ein großer Teil dieser Geschichten, Traditionen, Sprachen und Kulturen verloren gegangen. Sie starben mit den Menschen.
Romani Linguistiker*innen wie Ian Hancock, Ronald Lee und Kenneth Lee haben die Romani Sprachen erforscht und dadurch einige Teile der Geschichten, der Herkunft der Sprache und der Rom*nja selbst (wieder)entdeckt. So konnte eine linguistische Herkunft der Sprache in Nordwest Indien nachgewiesen werden. Auch die häufig vertretene These, dass Rom*nja in Indien den Berufen von Musiker*innen, Unterhalter*innen oder Handwerker*innen nachgingen wird widerlegt durch die Großzahl an altindischen Wörtern, die im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten stehen, im Gegensatz zu einer geringeren Zahl an Vokabeln für z.B. handwerkliche Aktivitäten. Für solche lässt sich eine Verwandtschaft mit Sprachen machen, mit denen erst auf den späteren Wegen der Migrationen Richtung Europa, wie z.B. mit der persischen Sprachfamilie, Kontakt entstand.2 Die Sprache ist also ein Weg, um verloren geglaubte Geschichte zumindest teilweise wiederzubekommen.
Sprachverlust
Rom*nja und Sinti*zze werden häufig als die größte und meistgehasste ethnische Minderheit Europas betitelt. Rassismus gegen Menschen aus Romn*ja Communitys ist noch immer an der Tagesordnung. Und das hat Tradition. Seit ihrer Ankunft in Europa wurde die marginalisierte Minderheit diskriminiert, vertrieben, versklavt und zwangsassimiliert. Diese Auswirkungen sind bis heute zu spüren.
Im Habsburgerreich unter Maria Theresia gab es eine eiserne Assimilationspolitik, die darauf abzielte, Rom*nja und Sinti*zze ihrer Traditionen und Kultur zu berauben. Kinder wurden entführt und in weiß-österreichische Familien gebracht, um ihnen die “asoziale Lebensweise” auszutreiben. Das Sprechen von Romanes wurde verboten und teilweise sogar mit dem Abschneiden der Zunge bestraft. Diese Praxis gab es unter anderem auch in Rumänien, wo Rom*nja für mehrere Jahrhunderte versklavt wurden.3 Das sind einige der Gründe warum es viele Menschen gibt, die schon seit sehr langer Zeit die Sprache verloren haben.
Ein weiterer Punkt ist, dass das Sprechen von Romanes Menschen sichtbar(er) macht, sichtbar als Rom*nja und Sinti*zze. Aus Angst, dass erkannt wird, dass man zu diesen Communitys gehöre, sprechen einige Leute die Sprache nicht mehr oder nur in bestimmten Kontexten. Kindern wird gesagt, dass sie kein Romanes in der Schule reden sollen, oder es wird ihnen noch nicht einmal beigebracht, mit dem Wunsch, sie vor Gefahren zu schützen. Im Nationalsozialismus lernten 'Rassenforscher*innen' wie Eva Justin gezielt Romanes, um sich das Vertrauen der Sinti und Romani Kinder zu erschleichen und diese dann für Folter und Experimente zu missbrauchen. Das erklärt auch, warum viele Sinti*zze und Rom*nja nicht möchten, das gadje, also nicht-Rom*nja, Romanes lernen.
Romani Empowernment
Wer Romanes fördern will, muss gegen Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze kämpfen. Es ist unfassbar, dass Menschen immer noch gezwungen sind, Teile ihrer Identitäten zu verbergen, aus Angst, Scham oder Misstrauen. Berichte und Forschungen über Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja legen allerdings wieder eine steigende Zahl von rassistischer Gewalt, Diskriminierung und Vorurteilen offen, wie zum Beispiel im Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus in Deutschland4 und vom European Roma Rights Centre ERRC5 berichtet und angeführt wird.
Aber es gibt auch positive Entwicklungen. Immer mehr Rom*nja und Sinti*zze gerade der jüngeren Generationen 'outen' sich als solche und wollen Vorurteile bekämpfen und positive Darstellungen und Vorbilder bieten. Auch bei uns im Verein wird viel Romanes gesprochen. Die meisten unserer Mitglieder sind mehrsprachig, allerdings in Sprachen, die von der Mehrheitsgesellschaft nicht als besonders wertvoll angesehen werden. Denn es wirkt gebildet, wenn eine Person Spanisch und Englisch sprechen kann, aber jemandem, der Romanes, Bulgarisch und Deutsch spricht, wird eher selten eine besondere Sprachbegabung nachgesagt. Deswegen ist es uns im Verein Vivaro – Viva Romnja* wichtig, gegen diese Hierarchie einzustehen und der sprachlichen Vielfalt und Begabungen Raum zu geben und sie zu fördern.
Immer mehr Menschen möchten Romanes auch wieder oder weiterhin ihren Kindern beibringen. Es gibt immer mehr Romanes Sprachkurse und Bücher in den Romani Sprachen. Romanes ist Empowernment, Selbstbewusstsein und Teil der Identität(en). Niemand sollte Angst haben, Romani zu sprechen oder sich offen zur Zugehörigkeit zu Romani & Sinti Communitys zu bekennen!
Opre Rom*nja thaj Sinti*zze!
Lavinia Seidel hat Philosophie an der Universität Wien studiert und studiert nun Nationalism Studies und Romani Studies an der Central European University. Sie ist im Verein Vivaro – Viva Romnja*, dem ersten niederschwelligen und feministischen Romnja* Verein in Österreich, tätig. Der Verein möchte Bewusstsein schaffen, Empowerment und Austausch fördern und somit gegen Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung kämpfen. Er ist offen für alle FLINTA*, egal ob romani oder nicht.
[1] Website: https://vivaro.at/
office@vivaro.at
instagram: vivaro_vienna
facebook: Vivaro – Viva Romnja*
[2] Ian Hancock, “Romani Origins and Romani Identity: A Reassessment of the Arguments,” in Counter- Hegemony and the Postcolonial "Other," ed. Michael Hayes and Thomas Acton (Newcastle: Cambridge Scholars Press, 2006)
[3] Gesellschaft für bedrohte Völker, „Sprache der Roma: Lebendig oder nicht Lebendig“ https://www.gfbv.de/de/zeitschriftfuervielfalt/archiv/328-sprache-ist-macht-rettet-die-sprachen/interview- sprache-der-roma/
[4] Unabhängige Kommission Antiziganismus (2021) Perspektivwechsel - nachholende Gerechtigkeit - Partizipation : Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (Stand Juni 2021), Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.