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Vielfalt kultureller Ausdrucksformen

Freiräume für Kunst und Kultur  
Foto: © Caroline Minjolle

Cultural Governance – transparente und partizipative Politikgestaltung

Nachhaltige Kulturpolitik ist transparent und partizipativ gestaltet. Inwiefern kann ein völkerrechtliches Instrument wie die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen dazu beitragen? Ein Gespräch mit Anke Schad-Spindler, Fachbeirätin für Kulturelle Vielfalt der Österreichischen UNESCO-Kommission.

Frau Schad-Spindler, Sie sind seit Herbst 2019 als Fachbeirätin für den Bereich Kulturelle Vielfalt in der ÖUK tätig. Was interessiert Sie an dieser Aufgabe?

Ich freue mich, dass ich Teil des Gremiums bin und damit Monika Mokre nachfolge, die ebenso wie ich unter anderem zu Kulturpolitik forscht. Kulturpolitik beinhaltet bereits die Beziehung zwischen Kultur und Politik – und wie diese gestaltbar ist, hängt unter anderem mit der Möglichkeit zusammen, öffentlich über Kultur und Politik zu diskutieren und dabei unterschiedliche Meinungen, Positionen, Perspektiven, Erfahrungen und Interessen in Austausch zu bringen.

Diese Prozesse der Politik- und Kulturgestaltung müssen im Hinblick auf ihre Offenheit (wer spricht, für wen oder mit wem, in welcher Form, zu welchem Ziel?) laufend kritisch hinterfragt und etwa im Hinblick auf demographische Veränderungen neu ausgerichtet werden. Das hat für mich viel mit der Auslegung und Realisierung von Kultureller Vielfalt zu tun. Der Fachbeirat ist ein Expert*innengremium, insofern ist der Zugang privilegiert – ich sehe mich also auch in der Verantwortung, möglichst vieles einzubringen, was kulturpolitisch in Österreich und darüber hinaus passiert.

Ihre 2018 erschienene Monographie beschäftigt sich mit Fragen der Cultural Governance in Österreich. Was bedeutet dieser Begriff eigentlich?

Was genau damit gemeint ist, ist ebenso schwierig zu definieren wie ein Konzept von Kulturpolitik. Governance betont ein prozessorientiertes Politikverständnis, das heißt, normativ gewendet, dass politische Maßnahmen an Akzeptanz gewinnen, wenn sie unter Einbezug unterschiedlicher Meinungen, Positionen, Perspektiven, Erfahrungen und Interessen entwickelt werden und auf dieser Basis versucht wird, bestmögliche Lösungen für alle Beteiligten und Betroffenen anzusteuern. So können sowohl die Verantwortung als auch die Gestaltungsmöglichkeiten geteilt werden. Die Realisierung ist natürlich sehr viel komplexer, wenn wir es im Feld der Kultur, also bei Cultural Governance, mit Akteur*innen zu tun haben, die nicht einfach zuordenbar sind. In Österreich handelt der Staat beispielsweise über seine Gesellschaften und Unternehmen vielfach als privatwirtschaftlicher Kulturunternehmer. Zugleich soll der Staat im Bereich der Kulturförderung gleiche Teilhabe- und Bildungsmöglichkeiten schaffen und Individuen und Gruppen – insbesondere Minderheiten – schützen und dabei fördern, künstlerisch tätig zu sein. Aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen, Künstler*innen und Kreative sind mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert– sie stehen etwa einerseits in Konkurrenz um Publika, Mitglieder, Auftraggeber*innen bzw. privilegierte Zugänge zu Sponsoren oder politischen Entscheider*innen und sind andererseits gefordert, zu kooperieren, etwa um gemeinsam ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte zu vertreten.

Sie schreiben, dass in Österreich „das Konzept Cultural Governance in der kulturpolitischen Programmatik nicht explizit aufgegriffen wird“. Mit Ratifizierung der UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt hat sich auch Österreich dazu verpflichtet, eine transparente und partizipative Politikgestaltung im Kunst- und Kulturbereich (weiter) zu entwickeln. Inwiefern sehen Sie diese Verpflichtung in und für Österreich erfüllt? Wo besteht weiterhin Potential?

Hier ist es schwierig, pauschale Urteile zu fällen. Dazu muss man beispielsweise diejenigen fragen, die in partizipative Prozesse, wie etwa Kulturentwicklungsplanungen auf kommunaler oder Bundesländerebene, involviert waren – ebenso wie diejenigen, die nicht involviert waren. Kulturentwicklungsplanungen die Zeit, die rhetorischen und sprachlichen Fähigkeiten, die persönlichen Netzwerke, um sich kontinuierlich einzubringen? Insofern sollten diese Verfahren nicht nur an ihren Ergebnissen, sondern auch an der Qualität ihrer Entwicklung und an ihrer Verbindlichkeit gemessen werden – auch wenn klar ist, dass sich Bedingungen und Prioritäten schnell ändern und Handeln nach Plan und unter Einbezug aller in Entscheidungen nicht immer möglich ist.

Welche Aufgabe übernehmen zivilgesellschaftliche Organisationen in der Kulturpolitikgestaltung in Österreich?

Wir sprechen hier von einer großen Bandbreite an unterschiedlichen Organisationen, was die Zahl ihrer Mitglieder, die Jahre ihres Bestehens, ihre Ziele und Zwecke, ihre Eigentümer*innenund Entscheidungsstrukturen betrifft.

Entsprechend vielfältig sind auch die Aufgaben. Allgemein geht es darum, eine Vermittlungsrolle zwischen Politik, Verwaltung und einzelnen Bürger*innen bzw. Bewohner*innen zu spielen. Dabei gibt es Organisationen, die etwa aufgrund ihrer Mitgliederart und –zahl oder den von ihnen vertretenen Werten je nach politischer Konstellation mehr Gehör finden als andere. Andere übernehmen  dann die Rolle des kritischen Korrektivs. Insofern ist es für die Demokratie in Österreich wichtig, dass es eine lebendige, vielfältige, kritische, öffentlich sicht- und hörbare Zivilgesellschaft gibt.

Inwiefern kann ein internationales, völkerrechtliches Instrument wie die UNESCO-Konvention zur Erreichung einer transparenten und partizipativen Politikgestaltung beitragen?

Die UNESCO-Konvention ist zum einen das erste völkerrechtlich bindende Rechtsinstrument, das zeitgenössische Kunst und Kultur in den Mittelpunkt stellt. Sie schafft dadurch eine verbindliche Grundlage für Schutz und Förderung des Kunst- und Kulturschaffens und somit eine Aufmerksamkeit der Staaten und der Zivilgesellschaft für das, was innenpolitisch passiert, aber auch für das, was in anderen Staaten und international passiert. Einerseits wird die Aufmerksamkeit gegenüber Problemen erhöht – etwa bei einer Verletzung der Kunst- und Menschenrechte durch Zensur und Gewalt, einer mitunter schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kunst- und Kulturschaffenden oder bei ungleichen Behandlungen bei der Reisefreiheit. Anderseits schaffen die Konvention und die Staatenberichte auch die Möglichkeit des Austauschs zu Entwicklungen, die aus Sicht der Betroffenen positiv sind – konkret beispielsweise die Initiativen österreichischer Filmschaffender im Bereich Gendergerechtigkeit, die sich auch auf institutioneller Ebene in Budget- und Vergabeentscheidungen auswirken sollen, oder die erhöhte politische Aufmerksamkeit gegenüber den Sustainable Development Goals als Reaktion auch auf öffentlichen Druck, die drohende Klimakatastrophe ernst zu nehmen. Gerade in Bereichen, in denen kooperatives Handeln gefragt ist, ist die Konvention ein wichtiges Instrument.

Dr. Anke Schad-Spindler, seit 2019 Mitglied des Fachbeirats Kulturelle Vielfalt der Österreichischen UNESCO-Kommission. Selbstständige Forscherin und Evaluatorin in den Bereichen Kulturmanagement, Kulturpolitik, internationale Kulturarbeit und Kulturelle Bildung. Von 2006 bis 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei EDUCULT. Seit 2016 im Vorstand des Fachverbands Kulturmanagement e.V. mit Schwerpunkt Nachwuchsförderung. Seit 2017 Vorstandsmitglied bei EDUCULT. Ihre an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien entstandene Dissertation ist 2018 unter dem Titel „Cultural Governance in Öster- reich. Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz“ im transcript-Verlag erschienen.

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© „reconfigure(d) – object 2“, kinetische Skulptur von Laura Skocek, www.viablethings.net