Internationaler Tag der Muttersprache: Mehrsprachigkeit – eine Notwendigkeit für die Umgestaltung der Bildung
- 21. Februar 2023
Laut UNESCO, haben weltweit 40 % der Bevölkerung keinen Zugang zu Bildung in einer Sprache, die sie sprechen oder verstehen. In vielen Ländern der Welt, in denen im täglichen Leben mehr als eine Sprache verwendet wird, findet der Unterricht in mehrsprachigen Kontexten statt. Dennoch haben viele Länder ein einsprachiges Bildungssystem und sehen die Mehrsprachigkeit als Herausforderung an.
2022 wurde, in Anbetracht dieser Herausforderungen, die Internationale Dekade der indigenen Sprachen ausgerufen. Die Umgestaltung der Bildung durch Mehrsprachigkeit auf der Grundlage der Erstsprache ist in unseren sich schnell entwickelnden globalen Kontexten eine Notwendigkeit. Heutzutage sind die Lernumgebungen zunehmend von Technologie und künstlicher Intelligenz durchdrungen. Es gibt immer wieder Krisensituationen, darunter Notsituationen mit Flüchtlingen, Migrant*innen und Binnenvertriebenen, sowie Situationen, in denen die sprachliche und kulturelle Vielfalt verloren geht. Heute leben 25 % der Kinder auf der Welt in Ländern, die von Konflikten oder Katastrophen betroffen sind. In diesen Kontexten wird das Recht auf eine hochwertige, gerechte und inklusive Bildung oft nicht respektiert. Dies gilt trotz internationaler normativer Instrumente, die die Dimension Sprache in der Bildung abdecken und Bevölkerungsgruppen schützen, die von der Bildung ausgeschlossen sind, wie ethnische Minderheiten, indigene Völker, Mädchen und Frauen. Gemäß diesen Rahmenwerken sind die Staaten verpflichtet, ein solches Recht zu achten, zu schützen und zu erfüllen, indem sie sicherstellen, dass Bildung nicht nur verfügbar, sondern auch zugänglich und anpassungsfähig ist.
Mehrsprachigkeit: Inklusion
Sprachen und Mehrsprachigkeit fördern Inklusion und tragen zur nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung bei. Insbesondere in Bezug auf die Agenda 2030 deren übergeordnetes Ziel ist: leaving no one behind. Die UNESCO ermutigt mehrsprachige Bildung in der Erstsprache der Lernenden. Denn Bildung sollte in jener Sprache beginnen, welche die Lernenden am besten beherrschen. Dieser Ansatz ermöglicht es die Kluft zwischen dem häuslichen Umfeld und der Schule zu überbrücken und so besser zu lernen.
Darüber hinaus trägt Mehrsprachigkeit zur Entwicklung integrativer Gesellschaften bei, in denen mehrere Kulturen, Weltanschauungen und Wissenssysteme nebeneinander bestehen und sich gegenseitig bereichern können. Das Thema des Internationalen Tages der Muttersprache 2023, "Mehrsprachigkeit – eine Notwendigkeit für die Umgestaltung der Bildung", steht im Einklang mit den Empfehlungen des UN/UNESCO-Gipfeltreffen „Transformtive Education Summit“ (ES), welches auch Bildung und Sprachen indigener Gruppen in den Mittelpunkt stellte.
Mehrsprachigkeit: Selbstermächtigung
Sprachen mit ihrer komplexen Bedeutung für Identität, Kommunikation, soziale Integration, Bildung und Entwicklung sind von strategischer Bedeutung für die Menschen und den Planeten. Aufgrund von Globalisierungsprozessen sind sie jedoch zunehmend bedroht oder verschwinden sogar ganz. Wenn Sprachen verschwinden, geht damit ein Teil der reichen kulturellen Vielfalt der Welt verloren. Chancen, Traditionen, Erinnerungen, einzigartige Denkprozesse und Ausdrucksweisen – wertvolle Ressourcen für die Sicherung einer besseren Zukunft – gehen damit ebenfalls verloren.
Mehrsprachigkeit: Konnektivität
Nur wenige hundert Sprachen haben einen wirklichen Platz in den Bildungssystemen und im öffentlichen Leben, und weniger als hundert werden in der digitalen Welt verwendet. Mehrsprachige und multikulturelle Gesellschaften leben von ihren Sprachen, die traditionelles Wissen und damit verbundenen kulturelle Praktiken auf nachhaltige Weise vermitteln und bewahren. Nicht umsonst ist einer der fünf Bereiche des Immateriellen Kulturerbes „mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Trägerin des immateriellen Kulturerbes“. Dies zeigt, welch wichtiges kulturelles Erbe mündliche Traditionen und Sprache darstellen. Der Internationale Tag der Muttersprache wird jedes Jahr gefeiert, um die sprachliche und damit kulturelle Vielfalt sichtbarer zu machen.
Kurz: Potential von mehrsprachiger Bildung
Um diesen Herausforderungen und Bedürfnissen gerecht zu werden, setzt sich die UNESCO für die durchgängige Berücksichtigung des mehrsprachigen Unterrichts auf der Grundlage der Muttersprache ein. Sie erleichtert den Zugang zu und die Eingliederung in die Bildung für Gruppen, die nicht dominante Sprachen, Sprachen von Minderheitengruppen und indigene Sprachen sprechen. Mehrsprachigkeit in der Bildung verbessert die Qualität der Bildung, indem sie die Bedeutung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt, die Relevanz des Lernens für das Leben der Lernenden und das gegenseitige Verständnis hervorhebt. Mehrsprachige Bildung fördert den Dialog und die Interaktion zwischen den Lernenden sowie zwischen Lernenden und Lehrenden. Sie erleichtert die Teilhabe und das Handeln im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung, indem sie Zugang zu neuem Wissen und neuen kulturellen Ausdrucksformen verschafft und so eine globale wie auch lokale Interaktion in Bezug auf traditionelle und indigene Themen gewährleistet.
Das Potenzial von Mehrsprachigkeit in der Bildung ist enorm. Aufgrund falscher Vorstellungen über die Mehrsprachigkeit wird es jedoch nur selten umgesetzt. Um die Bildung zu verändern, muss die Wahrnehmung der Mehrsprachigkeit geändert werden, damit sie als Vorteil für das Lernen in formalen, informellen und non- formalen Bildungsumgebungen angesehen wird.[1]
Warum gibt es diesen internationalen Tag?
Der Internationale Tag der Muttersprache wurde im November 1999 von der Generalkonferenz der UNESCO ausgerufen. Die Idee, den Internationalen Tag der Muttersprache zu feiern, geht auf eine Initiative Bangladeschs zurück. Heute wächst das Bewusstsein dafür, dass Sprachen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung spielen, für die Gewährleistung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs, aber auch für die Stärkung der Zusammenarbeit und die Verwirklichung einer hochwertigen Bildung für alle, für den Aufbau integrativer Wissensgesellschaften und die Bewahrung des kulturellen Erbes, der Mobilisierung des politischen Willens zur Nutzung der Vorteile von Wissenschaft und Technologie für die nachhaltige Entwicklung.
[1] Dazu gehören: Das Hintergrunddokument zu mehrsprachiger Bildung und frühkindlicher Bildung für die World Conference on Early Childhood Care and Education (WCECCE) sowie künftige UNESCO-Publikationen, darunter ein demnächst erscheinendes Grundsatzpapier über mehrsprachige Bildung und Integration, künftige Fallstudien über den erfolgreichen frühen Übergang zur zweiten Sprache in der zweisprachigen oder mehrsprachigen Bildung und ein neuer UNESCO-Leitfaden über mehrsprachige Bildung, der am Internationalen Tag der Muttersprache 2023 offiziell angekündigt und im Jahr 2023 veröffentlicht werden soll.