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Österreichische UNESCO-Kommission

 

UNESCO Talk: Zwischen globalem Anspruch und lokaler Praxis

Kunst, Kultur und Medien stehen vielerorts im Brennpunkt globaler Herausforderungen – wie entwickeln sich ihre Spielräume zwischen Zensur, Vertriebsmonopolen und dem Druck internationale Handelsmärkte?

Anlässlich der Veröffentlichung des UNESCO-Weltberichts „Kultur politik neu | gestalten“, der erstmals seit Verabschiedung der „Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ im Jahr 2005 Bilanz zieht, lud die Österreichische UNESCO-Kommission am 22. September 2016 AutorInnen des Weltberichts zum Gespräch mit österreichischen Kunstschaffenden über: Herausforderungen der Kunstfreiheit, Geschlechtergleichstellung im Kultursektor und Vielfalt im digitalen Umfeld.

Herausforderungen der Kunstfreiheit

Wie kann Kunstfreiheit definiert werden? Und wie ist es um diese Kunstfreiheit international und lokal bestellt? Mit dieser Frage eröffnete Moderatorin Elisabeth Scharang das erste Gesprächstandem zwischen Sara Whyatt (Autorin des Kapitels zur Kunstfreiheit im Weltbericht, Großbritannien) und Olga Flor (Schriftstellerin, Österreich). Die Gewährleistung der Kunstfreiheit, verstanden als die Freiheit Kunst zu schaffen und zu verbreiten, ist ein großes Problem, so das Fazit von Sara Whyatt. Im Jahr 2015 wurden weltweit über 496 Attacken auf KünstlerInnen dokumentiert. Dies stelle jedoch nur die Spitze des Eisberges dar, da Zensur und Selbstzensur sehr schwer zu dokumentieren seien. Ein aktuelles Problem, vor allem angesichts des gesellschaftlichen Klimas, sei die hohe Anzahl an inhaftierten KünstlerInnen auf Basis von Anti-Terror-Gesetzten.

Auch aus lokaler Perspektive stelle das gesellschaftliche Klima ein Problem dar, so Olga Flor. Ausschlaggebend sei hier vor allem der ökonomische Druck. Erwünscht sei von den Verlagen hauptsächlich unterhaltende Literatur, die nicht zu kritisch sei. Erfülle man diesen aktuellen Geschmack nicht, könne man schlichtweg nicht mehr publizieren, da man keinen Verlag mehr finde. Auch unabhängig vom ökonomischen Druck dürfe sich Europa nicht in Sicherheit wiegen, mahnte Sara Whyatt ein. Etliche europäische Staaten hätten Staats- und Majestätsbeleidigung als Straftatbestände definiert, auch wenn dieses Recht seit langem nicht mehr judiziert würde. Wie schnell es wiederbelebt und zu Konflikten mit der Meinungs- und Kunstfreiheit führen könne, zeige der Fall Böhmermann.  

Gleichstellung der Geschlechter: Frauen im Kreativ- und Kultursektor

Definitiv ein Problem stelle auch die Gleichstellung von Frauen in fast allen Sparten der Kreativwirtschaft weltweit dar, so Ammu Joseph (Autorin des Kapitels zur Geschlechtergleichstellung im Weltbericht, Indien). Dies obwohl die Konvention eindeutig von den Staaten Maßnahmen zur Förderung von Frauen fordere. Zwar stünden nur wenige Daten von Staaten außerhalb Europas und Nordamerikas zur Verfügung, jedoch würden alle denselben Schluss nahelegen: die Diskriminierung von Frauen schreibe sich fort, sowohl auf Ebene der faktischen als auch der symbolischen Anerkennung.

„Wir leben in einer Männerquote“, stellte Nina Kusturica  (Filmregisseurin und Produzentin, Österreich) zur Situation der österreichischen Filmschaffenden fest. Über 70 Prozent der öffentlichen Filmfördermittel würden an Projekte von Männern ergehen. Es brauche daher klare politische Vorgaben, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Gleichzeitig gehe es nicht nur um die Frage der Verteilung öffentlicher Mittel zwischen den Geschlechtern, sondern auch darum, wie Frauen in Filmen dargestellt würden. Die Repräsentation von Frauen auf der Leinwand hinke der gesellschaftlichen Realität jedenfalls weit hinterher.

Das digitale Umfeld: eine unbekannte Variable für die Vielfalt?

Was bedeutet Kulturpolitik im digitalen Kontext? – für Christopher Lindinger (ArsElectronica FutureLab, Österreich) in gewisser Weise die Quadratur des Kreises. Denn zum einen würde sich die Technologie in rasanter Geschwindigkeit entwickeln, zum anderen würde sie immer breitere Anwendung in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens finden. Die klassische Abfolge von Politikprozessen – zuerst Strategieentwicklung, dann Umsetzung von Maßnahmen, gefolgt von deren Evaluierung – sei angesichts dieser Faktoren vielfach nicht mehr praktikabel. Anstatt der technologischen Entwicklung hinterher zu hinken, solle sich die Politik daher vielmehr auf die Förderung der Kreativität, etwa in der Schulbildung, konzentrieren. Nur diese helfe, mit der Komplexität zukünftig zurechtzukommen.

„Im Mittelpunkt der Gleichung muss der Mensch sein, nicht die Technologie“, war auch die zentrale Forderung von Ocatavio Kulesz (Autor des Kapitels Vielfalt im digitalen Umfeld im Weltbericht, Argentinien). So sehe man etwa, dass in Regionen wie Afrika oder Lateinamerika die massenhafte Verbreitung von Mobiltelefonen und -netzen zu einem massiven Anstieg im Zugang zu digitaler Technologie geführt habe. Dieser Zugang bringe jedoch nichts außer mehr KonsumentInnen, wenn nicht parallel dazu Kreativität gefördert und tragfähige Märkte für digitale Kreativprodukte aus Afrika und Lateinamerika aufgebaut würden. Und hierfür sei Information über den digitalen Markt entscheidend. Diese Information existiere zwar, sei jedoch weitgehend in der Hand weniger großer Unternehmen, die damit immer mehr darüber entschieden, welche Informationen für uns auffindbar und sichtbar seien und welche nicht.

Es brauche viel mehr öffentliche Diskussion über diese Fragestellungen, so das Fazit des Diskussionsabends.


Die Diskussion fand am 22. September 2016 im Depot – Kunst und Diskussion statt. Es diskutierten: Danielle Cliche (UNESCO), Sara Whyatt (vorm. stv. Generaldirektorin PEN-International, Großbritannien), Olga Flor (Schriftstellerin, Österreich), Ammu Joseph (Journalistin, Medienbeobachterin, Indien), Nina Kusturica (Filmregisseurin, Produzentin, Österreich), Octavio Kulesz (Verlagshaus Editorial Teseo, Argentinien) und Christopher Lindinger (Ars Electronica FutureLab, Österreich). Moderation: Elisabeth Scharang.

 

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