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Presse

der Österreichischen UNESCO-Kommission  
Foto: © Colourbox.de / Eduardo

Fertő-Neusiedler See: ICOMOS International sieht Gefährdungspotenzial für OUV

11.06.2021

Die transnationale Welterbestätte Fertő-Neusiedler See, seit 2001 als UNESCO-Welterbe gelistet, steht aufgrund aktueller und geplanter Bauprojekte seit einiger Zeit verstärkt im öffentlichen Fokus. In einem unlängst übermittelten Schreiben äußerte ICOMOS International Bedenken hinsichtlich des Erhaltungszustandes des außergewöhnlichen, universellen Wertes (OUV) der Stätte. Es handelt sich hierbei um eine erste Einschätzung von ICOMOS International, nicht jedoch um eine Stellungnahme des Welterbekomitees bzw. der UNESCO.

Die einzigartige Kulturlandschaft rund um den westlichsten Steppensee Europas, den Neusiedler See (ung. Fertő), zählt auf Basis des völkerrechtlich bindenden „Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ (kurz: Welterbekonvention, 1972) aufgrund seines außergewöhnlichen, universellen Wertes für die gesamte Menschheit zum UNESCO-Welterbe. Das einzigartige, sensible und jahrtausendealte Zusammenspiel von menschlichem Kulturschaffen, Siedlungsgeschichte und Naturraum bildet die Grundlage für diese globale Bedeutung. Wesentlich hierbei ist, dass die Stätte als Kulturerbestätte (Kriterium v) in die Welterbeliste aufgenommen wurde:

(v) Das Gebiet Fertő-Neusiedler See war Treffpunkt verschiedener Kulturen für acht Jahrtausende, anschaulich belegt durch seine vielfältige Landschaft, die das Ergebnis eines evolutionären und symbiotischen Prozesses von menschlicher Interaktion mit der physischen Umwelt ist

Im Kern des OUV steht also das sensible Gleichgewicht zwischen dem See als Lebensraum und Biotop sowie der harmonischen, nachhaltigen Nutzung durch den Menschen, die der Landschaft ihr charakteristisches Erscheinungsbild gegeben hat.

Beim aktuellen Dokument handelt es sich um ein „Technical Review“ des Internationalen Denkmalrates (ICOMOS International), das von der Direktorin des UNESCO-Welterbezentrums in Paris, Dr. Mechthild Rössler, an Ungarn übermittelt wurde. ICOMOS steht als internationales Expert*innengremium dem aus 21 gewählten Staaten bestehenden Welterbekomitee gemäß Konventionstext in Denkmalangelegenheiten beratend zur Seite, das Welterbezentrum wiederum fungiert als operatives Sekretariat für die Konvention und das Komitee.

Das „Technical Review“ von ICOMOS bezieht sich auf den „State of Conservation Report (SOCR), der von Ungarn im November 2020 an das UNESCO-Welterbezentrum übermittelt wurde. Dabei handelt es sich um einen offiziellen Bericht zum aktuellen Erhaltungszustand einer Welterbestätte, der im Falle konkreter Entwicklungen seitens UNESCO angefordert werden kann. Anlassfall hierfür waren Berichte über ein in Bau befindliches Tourismusentwicklungsprojekt in Fertőrákos in der Nähe von Sopron.

ICOMOS International kommt in diesem Technical Review nach Analyse der zur Verfügung gestellten Unterlagen zu dem Ergebnis, dass das Bauprojekt in Fertőrákos in der vorliegenden Form aufgrund seiner Dimensionen eine konkrete Gefährdung für den OUV sowie die Authentizität und Integrität der Stätte darstellen würde und empfiehlt die unmittelbare Einstellung der Bauaktivitäten vor Ort und eine Neuplanung eines stark reduzierten Projektes, das mit den Anforderungen an eine nachhaltige und sensible Nutzung des Sees und dem Schutz der Welterbe-Kulturlandschaft vereinbar ist.

Darüber hinaus verortet ICOMOS auch problematische Entwicklungen auf der österreichischen Seite des Sees, die in ihrer Gesamtheit bereits den außergewöhnlichen, universellen Wert der Welterbestätte als historisch gewachsene Kulturlandschaft beeinträchtigen.

Grundsätzlich gilt, dass beide Staaten aufgrund des transnationalen Charakters der Stätte zu gleichen Teilen die volle Verantwortung für den Erhalt der gesamten Welterbestätte tragen. Entwicklungen haben, ungeachtet nationaler Grenzen, Einfluss auf die Gesamtheit der Welterbestätte, die als Einheit zu verstehen ist. Demnach werden auch alle weiteren Schritte in enger Abstimmung zwischen den beiden Vertragsstaaten, Österreich und Ungarn, den relevanten Gebietskörperschaften sowie den internationalen Fachexpert*innen zu setzen sein. Im Vordergrund steht nun also der Dialog zwischen allen beteiligen Verantwortlichkeiten auf nationaler Ebene, ICOMOS International sowie dem UNESCO-Welterbezentrum.

Zum Prozedere

Die Beurteilung durch ICOMOS International bildet die inhaltlich-fachliche Grundlage für die Entscheidungen des UNESCO-Welterbekomittes, das aus 21 gewählten Staaten besteht und die alleinige Entscheidungshoheit in Fragen des Welterbes auf internationaler Ebene hat. Die Entscheidungen des Welterbekomitees können, auf Basis der Expertise der internationalen Fachexpert*innen, vielfältig ausfallen und von der Entsendung einer Monitoring Mission vor Ort, der Einforderung konkreter Maßnahmen bis hin zur Einschreibung der Stätte auf die „Rote Liste“ des gefährdeten Welterbes reichen. Letzteres ist eine mögliche, keineswegs aber eine zwingend notwendige Konsequenz dieses Technical Reviews. Entsprechende Entscheidungen werden darüber hinaus ausschließlich während der einmal jährlich stattfindenden Sitzung. Die nächste Sitzung findet von 16.-31.07.2021 statt, im kommenden Jahr, ebenso im Sommer, voraussichtlich in Russland. Aufgrund der notwendigen prozeduralen Abläufe ist eine Behandlung des Themas im Rahmen der kommenden Sitzung allerdings nicht wahrscheinlich.

Sabine Haag, Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission:

„Die Analyse durch ICOMOS International hat gezeigt, dass es für den Erhalt der Welterbestätte Fertő-Neusiedler See Handlungsbedarf gibt – auch losgelöst von Diskussionen über konkrete Projekte. Die letztendliche Beurteilung obliegt aber, Kraft der völkerrechtlichen Vereinbarungen, dem Welterbekomitee. Klar ist aber auch, dass eine jahrtausendealte Kulturlandschaft wie diese nach Respekt und behutsamem Umgang verlangt – von allen Seiten der Verantwortlichkeiten, im Sinne des nachhaltigen Schutzes eines einzigartigen kulturellen Erbes.“

Welterbe Fertő-Neusiedler See
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