Die Kunst des Trockensteinmauerns als Teil der Repräsentativen Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit
05.12.2024
- 5. Dezember 2024
Mit 5. Dezember 2024 fand in Asunción, Paraguay, eine für Österreich bedeutende Erweiterung einer Eintragung in die Repräsentativen Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO, statt. Die Baukunst von Trockensteinkonstruktionen (Art of Dry Stone Constructions) wurde um die Länder Andorra, Belgien, Irland, Luxemburg und Österreich ergänzt. Diese fünf Länder reihen sich zu den bereits seit 2018 eingetragenen acht Nationen – Frankreich, Griechenland, Kroatien, Italien, Slowenien, Spanien, Schweiz und Zypern – und verdeutlichen die europaweite Verbreitung und kulturelle Bedeutung dieser Technik.
Trockensteinmauern prägen nicht nur das Landschaftsbild vieler Regionen, sondern auch die dortigen landwirtschaftlichen und sozialen Praktiken. Bundesminister für Kultur Werner Kogler würdigt die Tradition als wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit:
„Mit traditionellen Techniken wie dem Trockensteinmauern können Ökosysteme und die biologische Artenvielfalt vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels bewahrt werden. Ich gratuliere den Traditionsträgerinnen und –trägern herzlich zu dieser Auszeichnung.“
Die Baukunst der Trockensteinmauer – Eine Praxis mit Bestand
Trockensteinmauern bestehen aus sorgfältig aufeinandergeschichteten Steinen, die ohne Mörtel oder andere Bindemittel stabilisiert werden. Lediglich trockene Erde wird gelegentlich als Verfüllmaterial genutzt. Die Stabilität dieser Konstruktionen beruht auf der präzisen Auswahl und Platzierung der Steine, was fundiertes handwerkliches Können und langjähriges Erfahrungswissen voraussetzt. In vielen europäischen Ländern, darunter Österreich, haben diese Mauern das Landschaftsbild nachhaltig geprägt und werden bis heute im ländlichen Raum verwendet – zur Abgrenzung von Grundstücken, zur Terrassierung von Hängen und für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung schwer zugänglicher Flächen.
In Österreich hat das Wissen um die Trockensteinmauern eine lange Tradition. Besonders in Weinbauregionen wie der Wachau ist diese Technik fest verankert und wird seit Generationen weitergegeben. Wo früher das Wissen primär innerhalb von Familien – vor allem durch die Winzer*innen – vermittelt wurde, hat es sich inzwischen auch in den institutionellen und privatwirtschaftlichen, Bereich verlagert. Mit der Zeit wurden Trockensteinmauern zunehmend zum integralen Bestandteil der österreichischen Kulturlandschaft, und das handwerkliche Wissen wurde durch neue Schulungsangebote und Initiativen wie die „Trockensteinmauerschule Österreich“ weiterverbreitet.
Trockensteinmauern sind nicht nur eine ästhetische und kulturelle Bereicherung, sondern auch eine nachhaltige Bauweise, die natürliche Materialien der Umgebung verwendet und einen positiven Beitrag zur Biodiversität leistet. Die Zwischenräume der Steine bieten Lebensräume für zahlreiche Tierarten wie Insekten und Reptilien und tragen so zur Förderung des ökologischen Gleichgewichts bei. Aufgrund dieser vielfältigen ökologischen Funktionen wird in den Nominierungsunterlagen für die Aufnahme in die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit explizit auf ihre Relevanz für die nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 hingewiesen, darunter Ziel 15 („Leben an Land“), das den Erhalt von Ökosystemen und die Förderung der Biodiversität betont.
„Die Aufnahme der Trockensteinmauern in die Liste des Immateriellen Kulturerbes erinnert uns daran, dass in dieser Baukunst ein wertvolles, jahrhundertealtes Wissen steckt. Diese Mauern sind nicht nur einzigartige Bauwerke, sondern auch Biotope, die die Landschaft prägen und die Artenvielfalt fördern. Die Anerkennung zeigt, dass dieses Handwerk ein lebendiges kulturelles Erbe ist, das auch zukünftige Generationen bereichern kann.“ - Dr.in Sabine Haag, Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission
Internationale Zusammenarbeit und Wissensaustausch
Das Handwerk des Trockensteinmauerns verbindet Menschen über nationale Grenzen hinweg. Der Eintrag auf die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO, soll nicht nur dazu beigetragen, das Bewusstsein für diese Tradition zu schärfen, sondern auch die bestehende länderübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. In den letzten Jahren wurden zunehmend internationale Treffen und Austauschprogramme organisiert, bei denen Handwerker*innen ihr Wissen und ihre Techniken weitergeben und voneinander lernen können. Solche Netzwerke ermöglichen es den Teilnehmenden, ihre Fertigkeiten weiterzuentwickeln und neue Ansätze für die Erhaltung und Nutzung von Trockensteinmauerkonstruktionen zu entdecken.
Die Anerkennung auf UNESCO-Ebene gibt den Ländern außerdem die Gelegenheit, gemeinsame Aktivitäten im Bereich der Erhaltung und Weitergabe des Wissens sichtbar zu machen. In Österreich wurde das Trockensteinmauern bereits 2021 in das Nationale Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Dieser nationale Eintrag war Voraussetzung, um sich für die Repräsentative Liste zu bewerben. Die Anerkennung des Trockensteinmauerns auf internationaler Ebene würdigt nicht nur das handwerkliche Wissen, sondern auch die Bedeutung des kulturellen Austauschs und die gemeinsamen Bestrebungen zur Erhaltung traditioneller Handwerkstechniken.
Über die Repräsentative UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes
Zum Immateriellen Kulturerbe zählen weltweit lebendige Praktiken in den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Ziel der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes ist es, dieses Kulturerbe zu dokumentieren, das nationale und internationale Bewusstsein für seine Bedeutung zu stärken und es zu schützen. Ein zentrales Instrument dafür sind die internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes, darunter die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Diese soll die Vielfalt lebendigen Erbes darstellen, das weltweit verbreitet ist. Zudem ermöglicht sie es, dass länderübergreifende Praktiken, wie etwa das Trockensteinmauern, gemeinsam nominiert werden können, wodurch die transnationale und internationale Verbundenheit sichtbar wird. Derzeit sind 786 Einträge auf dieser Liste verzeichnet. Neben der Repräsentativen Liste führt die UNESCO auch das Register Guter Praxisbeispiele zur Sammlung beispielhafter Erhaltungsmaßnahmen sowie die Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes, auf der Praktiken aufgeführt sind, deren Ausübung oder Erhaltung gefährdet ist.
Wer entscheidet über eine Aufnahme auf UNESCO Ebene?
Über die Aufnahme von kulturellen Ausdrucksformen auf die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit entscheidet das Zwischenstaatliche Komitee zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes, bestehend aus 24 gewählten Mitgliedsstaaten. An wechselnden Orten, 2024 in Asunción, kommen jährlich Vertreter*innen aus 183 Vertragsstaaten zusammen, um über Neuaufnahmen in die Listen zu diskutieren, aber auch die Schwerpunkte und Weiterentwicklungen der UNESCO-Konvention zu definieren. Neben kulturellen Praktiken und Ausdrucksformen wie die Rituale rund um das Henna, japanische Sake-Herstellung, die Produktion von Aleppo-Seife, oder die Praxis des Pysanka (Eier-gestaltung) befinden sich nach der Neuaufnahme des Trockensteinmauerns aktuell 10 österreichische Praktiken auf der Repräsentativen Liste:
- Die Falknerei (2012), gemeinsam mit 23 weiteren Ländern
- Der Imster Schemenlauf (2012)
- Die Hohe Schule der Klassischen Reitkunst der Spanischen Hofreitschule (2015)
- Das Wissen im Umgang mit Lawinengefahr (2018), gemeinsam mit der Schweiz
- Die Handwerkstechnik des Blaudrucks (2018), gemeinsam mit 4 weiteren Ländern
- Das Wissen um die Lipizzanerzucht (2022), gemeinsam mit 7 weiteren Ländern
- Die Flößerei (2022), gemeinsam mit 5 weiteren Ländern
- Die Transhumanz – den Jahreszeiten folgende Alm- bzw. Weidebewirtschaftung (2023), gemeinsam mit Italien und Griechenland bereits 2019 eingetragen, erweitert 2023 um 7 weitere Länder
- Die Traditionelle Bewässerung: Wissen, Technik und Organisation (2023), gemeinsam mit 6 weiteren Ländern
- Die Kunst des Trockensteinmauerns (2024), gemeinsam mit 12 weiteren Ländern
Weitere Informationen:
Zu den internationalen Listen der UNESCO
- Internationale Listen des Immateriellen Kulturerbes
- Prozess der Einreichung
- Eintrag des Trockensteinmauerns in die UNESCO-Listen
Zu den Trockensteinmauern in Österreich
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