21. Mai: Welttag der Kulturellen Vielfalt
Seit 2001 ruft die UNESCO alljährlich am 21. Mai dazu auf, den weltweiten Reichtum an Kultur, künstlerischen Ausdrucksformen, Traditionen und Lebensstilen öffentlich zu feiern. Anlassbezogen organisierten die UNESCO-Nationalkommissionen aus Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz am 16. Mai ein digitales Werkstattgespräch mit dem Fokus "Schutz und Förderung einer Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im Kontext von KI".
Bericht der gemeinsamen Veranstaltung der UNESCO-Nationalkommissionen aus Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz.
KI-Programme generieren Bilder, erstellen Texte und wählen Musikstücke für uns aus. Mit diesen und vergleichbaren Anwendungen haben sie massiven Einfluss auf Form und Zugang zu Kulturgütern. Doch wie kann die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im Kontext von KI geschützt und gefördert werden?
Anlässlich des UNESCO-Welttags der kulturellen Vielfalt diskutierten am 16. Mai 2024 über 120 internationale Expertinnen und Experten diese Frage als Teil der digitalen Werkstattgesprächsreihe "KI in Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft". Ausrichter waren die UNESCO-Nationalkommissionen Deutschlands, Luxemburgs, Österreichs und der Schweiz.
Prof. Dr. Hito Steyerl, renommierte Medienkünstlerin, Filmemacherin und Professorin an der Universität der Künste Berlin, eröffnete das Werkstattgespräch. Sie thematisierte das "Zeitalter der Mittelmäßigkeit" durch die Angleichung an das scheinbar optimale Mittelmaß in Kunst und (Alltags-)Kultur durch KI-Anwendungen. Dies reduziere die Vielfalt und könne die Toleranz für das Ungewöhnliche und Mehrdeutige beeinträchtigen. Steyerl gab zu bedenken, dass der fehlende Raum für Vielfalt die Polarisierung gesellschaftlicher Diskurse und Konflikte verstärken könne. In diesem Zusammenhang wies sie auch auf ausbeuterische und zum Teil psychisch sehr belastende Arbeitsbedingungen hin, wie z. B. die Bereinigung von Trainingsdaten von gewalttätigen oder verstörenden Inhalten für KI-Systeme durch schlecht bezahlte Arbeitskräfte in Flüchtlingslagern. Hito Steyerl appellierte: Technologische Entwicklung braucht soziale Organisation und Umverteilung, um zum sozialen Fortschritt beizutragen. Sie forderte daher, den Menschen und seine Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Technologien.
Den zweiten Impulsvortrag hielt Prof. Dr. Peter Knees, Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Digitalen Humanismus an der Technischen Universität Wien. Er beleuchtete die Funktionsweise von Empfehlungssystemen und deren Auswirkungen am Beispiel großer Musik-Streaming-Plattformen. Die Systeme sind so konzipiert, dass sie Empfehlungen auf der Grundlage des bisherigen Verhaltens und der Präferenzen ähnlicher Nutzerinnen und Nutzer geben. Die Folge ist, dass immer ähnliche Ergebnisse ausgewählt werden und die Vielfalt der kulturellen Inhalte abnimmt. Hier gelte es einzugreifen, um im Sinne der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen neben dem wirtschaftlichen auch den kulturellen Wert von kulturellen Gütern und Dienstleistungen zu honorieren. Entsprechende Zielkriterien könnten Fairness und Diversität sein. Für ein vielfältiges und faires digitales Ökosystem seien Anreize für Unternehmen sowie Mechanismen zur Auffindbarkeit lokaler Inhalte, zur fairen Vergütung von Urheberinnen und Urhebern und zur algorithmischen Transparenz notwendig, wie sie in der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der KI gefordert werden. Allerdings wies Peter Knees darauf hin, dass die Entwicklung von Systemen mit komplexen Filterkriterien schwierig sei. So müssten etwa die Interessen zahlreicher Akteure mit zum Teil widersprüchlichen Anliegen berücksichtigt werden. Zuallererst bräuchte es mathematisch messbare Definitionen von Fairness und Diversität.
Die praxisorientierte Sichtweise von Hito Steyerl und die wissenschaftlich-informationelle Perspektive von Peter Knees machen deutlich, dass bei der Entwicklung und Nutzung von KI-Technologien der Mensch stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss, um die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu fördern und zu schützen.
Was dafür notwendig ist, diskutierten die Teilnehmenden anschließend in vier parallel stattfindenden Fokusgruppen mit ausgewählten Expertinnen und Experten. Zum Thema Zugang zu kulturellen Inhalten gaben Isabelle Hamm, Wissenschaftlerin für digitale Kunstvermittlung, und Yasemin Keskintepe, freie Kuratorin mit Expertise zu gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Technologien, Einblicke in ihre Arbeit. Weiterhin wurde die Frage nach dem Schutz künstlerischer Freiheitsrechte diskutiert. Hierfür gaben Prof. Dr. Rostam Neuwirth, Professor für globale Rechtswissenschaften an der Universität Macau, Susanne Barwick vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Gernot Schödl, Vorstand der Initiative Urheberrecht Österreich und Marco Urban als Verteter der Initative Urheberrecht Deutschland inhaltliche Impulse. Zu kultureller Vielfalt und Sprachenvielfalt tauschten sich die Teilnehmenden mit Dr. Idris Abdulmumin, Mitglied der Forschungsgruppe Data Science for Social Impact an der University of Pretoria und Prof. Dr. Heritiana Ranaivoson, Forschungsprofessor am imec – SMIT der Vrije Universiteit Brussel und Mitglied der UNESCO-Reflexionsgruppe zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im digitalen Umfeld aus. Zu Ungleichheitsstrukturen zwischen Weltregionen und in Gesellschaften im Kontext von KI im Kulturbereich diskutierten die Teilnehmenden mit Michael Michie, Mitbegründer von Everse Technology Africa, und Dr. Tiara Roxanne, Wissenschaftlerin und Künstlerin im Bereich KI-Ethik.
Neben den möglichen Risiken für die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen durch KI-Anwendungen standen auch die vielfältigen Möglichkeiten ihrer positiven Nutzung im Mittelpunkt des Werkstattgesprächs. Letztlich gilt für den Kulturbereich wie für andere gesellschaftliche Bereiche, die durch KI verändert werden: Wir Menschen sind der KI nicht "ausgeliefert", sondern haben es weiterhin selbst in der Hand, eine menschenzentrierte Entwicklung und Nutzung von KI sicherzustellen. Diese Handlungsmöglichkeiten gilt es zu nutzen und zu fördern.
Hintergrund
Im November 2001 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 21. Mai zum "Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung". Der Welttag soll die Bedeutung kultureller Vielfalt ins öffentliche Bewusstsein rücken und den wertvollen, interkulturellen Austausch durch Kunst und Kultur hervorheben und nachhaltig stärken. Kulturelle Vielfalt spielt eine wesentliche Rolle bei der Förderung der menschlichen Entwicklung zum Nutzen der heutigen und zukünftigen Generationen.
An diesem Tag möchte die UNESCO alle dazu aufrufen, die kulturelle Vielfalt zu feiern, durch die wir in der Lage sein werden, die intellektuelle und moralische Solidarität der Menschheit aufzubauen.