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Vielfalt kultureller Ausdrucksformen

Freiräume für Kunst und Kultur  
Foto: © Caroline Minjolle

„Kultur als globales öffentliches Gut“ – Launch des 3. UNESCO-Weltkulturberichts

In länderübergreifender Zusammenarbeit veröffentlichen die vier deutschsprachigen UNESCO-Nationalkommissionen Österreich, Deutschland, Schweiz und Luxemburg am 18.05.2022 im Rahmen einer Online-Veranstaltung die deutschsprachige Übersetzung der Kurzfassung des UNESCO-Weltkulturberichts 2022. Ein kurzer Nachbericht gibt Einblick in die Diskussionen.

Kernthema des Weltkulturberichts ist die Forderung, Kultur als globales öffentliches Gut zu betrachten. Zum Schutz der kulturellen Vielfalt, Stärkung der künstlerischen Freiheit und Förderung eines nachhaltigen Kreativsektors, fordert der Bericht Maßnahmen, Aktivitäten und Abkommen, die eine globale Anerkennung von Kultur als integraler Bestandteil unserer Gesellschaft vorantreiben. Anupama Sekhar, Co-Autorin und Mitglied des UNESCO-Expert*innenrats, präsentiert zu Beginn der Veranstaltung die wichtigsten Aspekte des Berichts, welcher neben globalen Trends im Kreativsektor auch die Auswirkungen der COVID-19-Krise beleuchtete. In der anschließenden Paneldiskussion tauschen sich Marlene Streeruwitz (Schriftstellerin, Dramatikerin, Regisseurin), Dr.in Anke Schad-Spindler (Forscherin im Bereich Kulturpolitik, Kulturmanagement und Kultureller Bildung), Dr. Tobias J. Knoblich (Beigeordneter für Kultur und Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Erfurt) und Mathias Knauer (Musikwissenschaftler, Publizist, Filmemacher) themenspezifisch zum deutschsprachigen Raum aus.

 

Kulturpolitik hat einen demokratiepolitischen Auftrag 

Kultur als „geteiltes öffentliches Gut, das hat im Kern mit demokratiepolitischen Fragen zu tun. Im Weltkulturbericht sind ganz unterschiedliche politische Systeme vertreten. Das heißt auch für den deutschsprachigen Raum, sich bewusst zu werden, was es für eine Errungenschaft ist, ein doch funktionierendes Demokratiesystem zu haben, das aber auch immer wieder neu verteidigt werden muss. Wir müssen die weltweite Krise der Demokratie wahrnehmen, die auch im Bericht abgebildet ist.“, sagt Anke Schad-Spindler in der anschließenden Diskussion auf die Frage nach dem Konzept von Kultur als öffentlichem Gut. Sie fordert einen wieder politischeren Begriff von Kulturpolitik, der Raum für öffentliche Aushandlungsprozesse bietet. Tobias Knoblich sieht in Deutschland zwar die öffentliche Wertschätzung und auch die Kulturpolitik mit einer Vielzahl an Förderprogrammen auf einem sehr positiven Weg. Jedoch schließt er sich seinen österreichischen Vorrednerinnen Marlene Streeruwitz und Anke Schad-Spindler an, welche vor allem die oft schlecht abgesicherte Situation freischaffender Künstler*innen kritisieren. Marlene Streeruwitz betont in diesem Zuge die Bedeutung von Kultur als Basis bildend. Diese verknüpft sie vor allem mit dem Recht der freien Rede, dessen Bewahrung die Autorin als eines der wichtigsten kulturpolitischen Bewegungsmodi sieht, die zur Demokratisierung zur Verfügung stehen. Sie fordert: „Kultur darf nicht als abgesplitterter Raum gesehen werden, der versorgt werden muss.“

Soziale Absicherung: „Jetzt beginnt die eigentliche Aushandlungsphase.“ 

Die aktuelle Situation gibt leider einige Gründe zur Sorge: Das 2005er-Übereinkommen verpflichtet die 150 Vertragsparteien dazu, Rahmenbedingungen für einen fairen Kunst- und Kultursektor zu sichern. Trotz der Zusage der 150 Nationen und der Europäischen Union sanken in vielen Ländern die staatlichen Investitionen in Kunst und Kultur bereits Jahre vor der Pandemie stetig und Künstler*innen und Kulturtätige finden sich zunehmend in prekären Arbeitsverhältnissen wieder.

Die Pandemie machte vorhandene Missstände und das mangelnde Verständnis kulturpolitischer Entscheidungsträger*innen für atypische Beschäftigungsverhältnisse ohne soziale Absicherung sichtbar und stieß einen Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Interessensvertretungen und kulturpolitischen Akteur*innen an. „Das hat in einen Prozess geführt, in dem es stark um Fragen sozialer Absicherung und Fair Pay ging“, sagt Schad-Spindler im Gespräch, betrachtet den am Ende der Aushandlung stehenden Fair Pay-Kodex jedoch noch als unzureichend und zu wenig konkretisiert, um individuell angewendet zu werden. „Jetzt beginnt die eigentliche Aushandlungsphase.“ Auch Tobias Knoblich hält ein größeres Verständnis für die Verhältnisse in der Kunst- und Kulturszene durch kulturpolitische Forschung für notwendig, um zielführend und konzeptbasiert über Lösungsansätze wie Honoraruntergrenzen und sinnvolle Fördermöglichkeiten für ein qualitatives Wachstum in der Kultur zu diskutieren. In der Stadt Erfurt wurde beispielsweise eine Stelle zur Szenenkennerschaft für die Freie Szene geschaffen, um Herausforderungen informiert entgegentreten zu können. 

„Ich denke es geht jetzt darum, nicht mit der Krise mitzugehen, sondern gegen sie zu investieren." 

Die Pandemie hat die Kulturbranche unmittelbar hart getroffen. Der Weltkulturbericht sieht weltweit 10 Millionen Arbeitsplätze im Kultursektor als dauerhaft verloren und trotz milliardenschwerer Förderprogramme, um die direkten Folgen abzufangen, werden zwei Jahre nach Pandemiebeginn die langfristigen Folgen auch im deutschsprachigen Raum sichtbar. „Tatsache ist nun, dass ich die ersten Absagen bekomme für den Herbst, weil die Budgetmittel nicht mehr da sind“, berichtet Autorin Streeruwitz. „Die Möglichkeiten für Auftritte, Lesungen und eine Vergesellschaftung des Werks werden weiter beschränkt oder nehmen sogar ab.“ Um die kommende Problematik mangelnder Finanzierung zu bewältigen, wird sowohl im Bericht, als auch in der Diskussion von Anke Schad-Spindler eine systemische Analyse und Transparenz in der Verteilung der Ressourcen gefordert, wobei Marlene Streeruwitz den zeitlichen Aufwand einer solchen Analyse kritisiert. „Es sind mittlerweile fast drei Jahre vergangen, in denen Personen nicht anfangen konnten. Wir müssen sehen, dass es in dieser Pandemie einen Stopp des Sich-Einbringens von neuen Stimmen gegeben hat“, sagt sie. „Ich denke es geht jetzt darum, nicht mit der Krise mitzugehen, sondern gegen sie zu investieren.“

Digitaler Umbruch auch im Kreativsektor - Stärkung der Rolle der Kommunen

Laut Weltkulturbericht macht sich auch die digitale Transformation mit großen Zugewinnen der Streaming-Industrie in der Kulturlandschaft bemerkbar, von denen jedoch nur wenige profitieren können. Zwar erkennen während der Pandemie mehr Menschen denn je den Wert von kreativen Inhalten und konsumieren sie, jedoch wird dies nicht in eine angemessene Entlohnung der Macher*innen übersetzt. Tobias Knoblich erkennt in der digitalen Transformation eine Revolution, die alle Lebensbereiche umfasst und für die es zurzeit für die Kunst- und Kulturbranche noch keine klaren Antworten gibt. „Es ist zuerst wichtig für den Kulturbereich, sich damit auseinanderzusetzen und die Schnittstelle zur analogen Welt näher zu fassen.“

Digitalität bringe eine neue Art von Vielfalt und Partizipation mit, die sich in der Erwartung von Menschen widerspiegelt. Im Hinblick darauf betont er den Einbezug und die Stärkung der Kommunen, um lokale Transformationsprozesse nachhaltig zu gestalten.

Hintergrund

Der Weltkulturbericht – ehemals Weltbericht zur Kulturpolitik – ist eine Publikation zum Monitoring der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens von 2005 über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Der seit 2015 zum dritten Mal erschienene Bericht erfasst kulturpolitische Trends sowie weltweite Bewegungen innerhalb des Kultursektors. Des Weiteren formuliert er Forderungen und Maßnahmen für die nachhaltige Entwicklung der Kunst- und Kulturbranche bis 2030.

Der Online-Launch wurde dank finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport realisiert.

Das Video zur Veranstaltung mit der Diskussion sowie die Publikation selbst gibt es online zum Nachschauen, beziehungsweise -lesen unter folgenden Links:

 


Downloads

Links

KUNST. KULTUR. KREATIVITÄT. Deutschsprachiger Launch des UNESCO-Weltkulturberichts - YouTube