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Foto: © Caroline Minjolle

Gender Equality und Solidarität im Jazz - Internationaler Tag des Jazz 2022

  • 30. April 2022

Mit Kontrabass und Schlagzeug spielen die Wiener Jazzmusikerinnen Gina und Judith Schwarz Instrumente, die bis heute meist männlich besetzt sind. Dies wird von Publikum und Medien gerne thematisiert. Im Interview anlässlich des Internationalen Tages des Jazz tauschen sich Mutter und Tochter zu Genderdiversity in der Jazzszene und der Bedeutung von weiblichen Vorbildern aus.

Wie geschlechtergerecht ist die aktuelle Jazzlandschaft?

Gina Schwarz: Ich beobachte, dass es besser geworden ist in den letzten 20 Jahren. Die Jazzlandschaft meiner Generation war anders als jene aktueller junger Musiker*innen. Heute gibt es viel mehr Instrumentalistinnen. Ich sehe da eine große Veränderung – aber definitiv noch Luft nach oben. Schaue ich auf Veranstalter, Labels und Booking Agenturen – diese Bereiche sind leider immer noch sehr männlich dominiert.
Judith Schwarz: Da kann ich mich anschließen. Ich habe einen anderen oder etwas späteren Einblick. Für mich war es selbstverständlich, dass ich ein Vorbild habe, mit einer Kontrabassistin als Mama. Deshalb habe ich nie angezweifelt, dass ich Schlagzeugerin werden kann. Als Studentin hatte ich das Glück, dass mein Umfeld sehr divers war. Ich habe gleichermaßen mit Männern wie auch mit Frauen gearbeitet und dementsprechend auch Bands zusammengestellt. Ich habe aber auch den Eindruck, dass es auf meinem Instrument nur vereinzelt junge Schlagzeugerinnen gibt. In Schweden beispielsweise ist es schon viel ausgeglichener. Auch wenn internationale Bands kommen, merkt man, dass einige Länder mehr Instrumentalistinnen hervorbringen, die einen größeren Bekanntheitsgrad erreichen. Bei uns steht es ein bisschen. In meiner Generation ist es ganz gut – immer noch nicht ausgewogen – aber es gibt auf jeden Fall einige sehr starke und involvierte Musikerinnen.

Findet eine Diskussion um das Thema Gender Equality innerhalb der österreichischen Jazzszene statt?

Gina Schwarz: Es ist schwierig zu diskutieren: Falls eine Musikerin mal ein Problem mit diesem Thema hat, bekommt sie oft von Kollegen Antworten wie, „das bildest du dir nur ein“ und „so ist es ja gar nicht“. In einem Radiointerview wurde mir kürzlich gesagt: „Gender ist ja heute gar kein Thema mehr im Jazz“. Im Bundesministerium bei einem persönlichen Informationsgespräch wurde mir sogar erklärt, dass ich ja sicher auch zugeben müsse, dass es nicht so gute Frauen im Jazz in Österreich gäbe, und dass man mich auch nicht kenne. Da war ich dann schon geschockt und fragte mich: „Und da sind die Fördergelder her?“. Eine Diskussion auf solch einer Basis hat überhaupt keinen Sinn. Deswegen habe ich dann mit den Jahren aufgehört zu diskutieren. Mein Weg ist es, einfach zu machen und durch meine Arbeit einen Teil zum Thema Gender beizutragen. Diskutieren und Reden hat für mich eher Negatives gebracht, weil ich immer nur ignoriert werde.
Judith Schwarz: Ich habe das Gefühl, dass es immer wieder zum Thema wird, aber in einem Rahmen, der nicht unbedingt immer zielgerichtet ist. Ich sehe, dass gerade sehr viel gefördert wird, was Frauen in der Kunst betrifft, oftmals beinahe schon dogmatisch. Ich würde mir wünschen, dass es klar wäre, dass eine Band mit Frauen und Männern, ein besseres Zusammenarbeiten mit sich bringt und man sich deswegen dafür entscheidet. Wenn es aber immer die Grundbedingung ist, dass nur Frauen in der Band sind, damit die Band gefördert wird, ist das kontraproduktiv. Ein Vorteil ist allerdings, dass somit jene Personen Mittel bekommen, die sie vielleicht früher nicht bekommen hätten. 
Gina Schwarz: Ich denke, dass junge Musikerkollegen es oft gar nicht wahrnehmen. Viele Dinge sind nicht offensichtlich, sondern auf der Spür-Ebene. In meiner Band hat ein Kollege auch schon einmal gesagt, Gender sei kein Thema mehr - ja, wahrscheinlich aus seiner Perspektive. Auf Festivals kann ich das Programm durchgehen und schauen wie viele Frauen und wie viele Männer auftreten, auch bezogen auf die Headliner*innen. Da wird man schon den Unteschied bemerken. Nordische Länder zum Beispiel machen das anders - sie haben oft eine Quote. Das ist vielleicht nicht das Ideale. Auf der anderen Seite, wenn man keinen Druck macht, wird es sich nie ändern. 
Judith Schwarz: Es gibt zum Beispiel Anfragen, wo ein Veranstalter so irrsinnig stolz ist, von wegen: „Wir hätten euch gerne, weil ihr wärt unser female act“ und ich selbst denke: „Wooow, wir wären der female act!“ (lacht).

Wie könnte Geschlechtergleichstellung im Jazz gefördert werden?

Gina Schwarz: Nach dem Vorbild der österreichischen Startstipendien (Stipendien für Künstler*innen der jüngeren Generation in Musik und darstellender Kunst) könnte durch die Einführung eines altersunabhängigen Frauenstipendiums das Sichtbarmachen der Frauen in der österreichischen und internationalen Kunstszene aktiv gefördert werden. Ähnlich wie das MICA-NASOM Förderprogramm (Förderung für Künstler*innen der jüngeren Generation) könnte ein Programm für Frauen (als Bandleaderinnen, Komponistinnen, usw.) angeboten werden. Durch die Zusammenarbeit mit österreichischen Kulturforen in anderen Ländern könnten österreichische Frauen im Jazz internationale Aufmerksamkeit bekommen. Dasselbe gilt für das MICA KICK JAZZ Förderprogramm, welches Bühne für Acts der aufstrebenden heimischen Jazz Formationen bietet. Auch hier könnte man einen Frauen-Schwerpunkt andenken. Bei geförderten österreichischen Jazz-Clubs & Festivals könnte eine Art Frauen-Quotenregelung in der Programmierung ein Weg sein, um die Situation zu verbessern.

Wie ist der Umgang zwischen Frauen im Jazz untereinander?

Gina Schwarz: Meist ist es unterstützend. Es gibt aber dann doch Eifersucht und Neid, wenn der Erfolg kommt. Vielleicht ist das ja bei Männern auch so, aber das spüre ich nicht. Es gibt aber genug Frauen, die sich gegenseitig unterstützen.
Judith Schwarz: Bei mir ist das mit dem Neid eigentlich gar kein Thema. Aber das ist vielleicht eine Generationsfrage. Ich habe das Gefühl, dass sich, weil es kaum Schlagzeugerinnen gibt, sehr viele Instrumentalistinnen an mich wenden. Es ist nur schwierig, wenn Frauen diese dogmatisch besetzten Frauen-Projekte durchziehen wollen und das auch als Marketing für sich benutzen. Da steige ich dann aus.
Gina Schwarz: Eigentlich sollte das Musikalische oder vielleicht das Persönliche ein Grund sein, aber nicht Frau oder Mann. Es ist schon richtig anstrengend, wenn jemand sagt „Oh eine Frau am Kontrabass, das ist ja so selten“. Ich kann es einfach nicht mehr hören.
Judith Schwarz: Ja, es ist schwierig, weil wir eben in so einer Zwischenphase sind. Es ist extrem anstrengend, weil ich so oft schon auf das Frau-Sein reduziert wurde. Aber ich kann mich auch nicht verstecken oder nicht Stellung beziehen, denn sonst geht nichts weiter. Es wird gesagt man sei revolutionär, wenn man über das Thema redet. Aber man muss es noch einmal weiter bringen, damit es selbstverständlich wird. Dafür sind wir jetzt alle zuständig.

Wie wichtig ist es als Frau im Jazz weibliche Vorbilder zu haben?

Gina Schwarz: Für mich persönlich war es eigentlich nie wichtig. Ich kannte keine Kontrabassistin im Jazz. Ich wollte das einfach, egal wer das sonst noch macht auf der Welt. Aber ich verstehe, dass das auch ganz anders sein kann. Ich sehe das bei Studentinnen, beispielsweise wenn der Bildschirmschoner eine Frau am Bass ist. Vorbilder können für viele wichtig sein, selbst wenn es nur unbewusst ist. Für mich persönlich war es das eben nicht. Aber für die Zukunft und generell für die Zuschauer*innen und für die Öffentlichkeit ist es extrem wichtig.
Judith Schwarz: Wie vorhin schon erwähnt, ich hatte da ein großes Vorbild: meine Mama als Kontrabassistin. Meine Entscheidung Schlagzeugerin zu werden, war ganz selbstverständlich. Kennen Eltern die Möglichkeit als Instrumentalistin erfolgreich zu sein, können sie ihre Kinder auch dementsprechend unterstützen. Die Vorurteile und Rollenbilder sich als Mädchen eher die Querflöte auszusuchen, stecken einfach in den Köpfen. Das muss sich nach und nach ändern und deswegen sind Vorbilder wichtig. Ich finde es interessant, dass ich am Schlagzeug kaum weibliche Stimmen kenne. Obwohl ich das öfter gefragt werde, könnte ich gar nicht sagen, ob Frauen anders spielen. Es gibt viel zu wenige Beispiele, um einen echten Vergleich zu haben. Ich kann mir nur vorstellen, dass es die Musik bereichert, weil alles was diverser ist, auch neue und spannende Ansätze bringt. Es wäre schade, sich das entgehen zu lassen.

Denkt ihr Aktionstage wie der Internationale Tag des Jazz können die Sichtbarmachung von Jazzmusikerinnen fördern?

Judith Schwarz: Ja, das kann ich mir schon vorstellen. Ich fände es super, wenn man Interviews mit Personen führen würde, bei denen man das Gefühl hat, sie haben sich mit dem Thema noch nie beschäftigt.
Gina Schwarz: Dann aber auch verschiedene Generationen. Das wäre mal spannend.
Judith Schwarz: Oder generell nur Männer dazu befragen, das wäre ein gutes Format. (lacht)

Internationaler Tag des Jazz

Der 2011 von der UNESCO-Generalkonferenz ins Leben gerufene Internationale Tag des Jazz feiert jährlich am 30. April die Rolle des Jazz als Förderer von Dialog, Gleichberechtigung und Menschenwürde. Unter dem Vorsitz der UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay und Pianist, Komponist und Jazz-Legende Herbie Hancock, beteiligen sich in diesem Jahr 180 Länder weltweit mit Aktionen und Veranstaltungen und feiern den verbindenden Charakter der Kunstform.
Mehr Informationen unter: International Jazz Day | UNESCO

Gina Schwarz
Die in Wien lebende Jazzbassistin und Komponistin Gina Schwarz studierte Jazz-Bass und Akkordeon am Konservatorium der Stadt Wien, Jazz-Bass Performance am Berklee College of Music in Boston und Bass Popularmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Mag. art.) wo sie seit 2011 unterrichtet. Sie ist in unterschiedlichsten nationalen und internationalen Projekten sowie auf zahlreichen Produktionen zu hören - auch als Bandleaderin. 2007 erhielt sie den HANS KOLLER Preis. Aktuell ist sie für den AMADEUSAUSTRIANMUSICAWARD in der Sparte JAZZ nominiert.

Judith Schwarz
Nach dem Abschluss ihres Jazz-Schlagzeug Masterstudium an der Anton-Bruckner Privatuniversität 2018 ist Judith Schwarz als Schlagzeugerin und Komponistin im Bereich Jazz und improvisierte Musik national und international tätig. Schon während ihres Studiums mit zusätzlichem Erasmus-Aufenthalt in Basel (Jazzcampus Fachhochschule Nordwestschweiz) haben sich unter anderen erfolgreiche Projekte formiert, die sich in den letzten Jahren in der Musikszene etablieren konnten.
Durch zahlreicher Auftritte in renommierten Clubs und Festivals konnte Judith Schwarz gemeinsam mit diesen Bands schon weltweit auf sich aufmerksam machen. (Moers Festival 2019 (D), Jazzto pad 2019 (PL), Jazz in den Ruinen (POL), Showcase-festival „12 Points“ in Arhus (DNK) 2017, Jazzfestival Buenos Aires (ARG) 2017, Carinthischer Sommer (AUT) 2018, Jazzfestival Saalfelden 2018 (AUT), Jazz in the native yards 2019 (ZAF)...)

Links

Gina Schwarz, Jazzkontrabassistin
© Hans Klestorfer
Judith Schwarz, Schlagzeugerin
© Hans Klestorfer